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Kinderbetreuung, Familie und Beruf

In gewissen Bereichen funktioniert die Schweiz noch wie anno 1800 irgendwas...

 

Zum Beispiel zum Thema Frauen, Mutterschaft, Teilzeitarbeit und Beruf.

 

Die Schweiz rühmt sich immer wieder wie modern und fortschrittlich sie ist. Doch in diesem Bereich funktionieren die meisten Schweizer Firmen noch sehr rückständig. Liebe Politiker und Politikerinnen - es braucht nicht nur mehr Betreuungsplätze, auch unsere Wirtschaft muss sich anpassen und mehr Stellen schaffen für Mütter und Väter, die Teilzeit arbeiten und Teilzeit für die Familie da sein möchten....

 

Einer Frau, die Ökonomie studiert hat, haben sie nach der Mutterschaft entweder eine 100% Stelle zu bieten - so wie vorher - oder gar nichts... Ich muss an dieser Stelle etwas ausschweifen, bevor ich wieder zu diesem Thema zurück kehre.

 

Damals, als ich meinem Vorgesetzten die Einladung zur Hochzeit übergeben habe, staunte ich nicht schlecht, als er nach einem "Danke" gleich anfügte: "Wenn du dann Kinder möchtest, müsstest du mind. 90% weiterarbeiten nach dem Mutterschaftsurlaub".

Das war für mich wie ein Schlag ins Gesicht und ich war sprachlos. Vor allem nervte mich diese Aussage extrem, weil ich zu diesem Zeitpunkt nicht mal 60% ausgelastet war und mich teilweise zu Tode langweilte. Ich verbrachte die Tage mit nichts tun, mit surfen, - ich glaube mein Arbeitsplatz war mit Abstand der Sauberste in der Firma.... bis ich kurze Zeit später ein Boreout (Depression aus Langeweile) erlitt. Ich kündigte meine Stelle ins Blaue. Ich hätte auch zu einem Psychiater gehen können, um mir ein Arztzeugnis zu besorgen - ich dachte aber zu unternehmerisch und tat es nicht... Danke sagte mir niemand dafür. Aber nach dem Mutterschaftsurlaub müsste ich zwingend 90% arbeiten.... Bitter, aber wahr. Stur, schweizerisch, veraltet und männlich....

 

 

Zurück zum Thema Mutterschaft, Vaterschaft und Teilzeitarbeit...

 

Ich wollte Mutter werden, ich wollte aber nicht 100% weiterarbeiten und mein Kind zu 100% fremd betreuen lassen. Ich wäre bereit gewesen nach dem Mutterschaftsurlaub 50 oder 60% weiter zu arbeiten (zumal ja meine Auslastung eher geringer ausfiel), aber dies stand nicht zur Debatte. Also kündigte ich und machte mehrere Ausbildungen im Therapeutischen Bereich, mit dem Hintergedanken, in dieser Branche später besser Teilzeitarbeit zu finden.

 

Leider ergab sich nach der Niederkunft keine Teilzeitbeschäftigung, was dazu führte, dass ich 100% Mami und Hausfrau wurde. Und da kam ich mächtig auf die Welt... Nonstop präsent zu sein, weniger soziale Kontakte, Isolation, Hausarbeit, stinkende Windeln - jede Frau und jeder Mann der diesen Job belächelt oder sogar verspottet, die/der ist extrem arrogant und hat keine Ahnung! Und es ist ein Cliché, dass nur "dumme" Frauen 100% Mami werden, denn dies ist in der Schweiz ein Privileg und eine aktive Entscheidung der Frau (und des Mannes). Warum werden wir dann immer für dumm verkauft, bloss weil wir nicht arbeiten?

 

Dieses altmodische Modell bietet sehr viele Vorzüge, z.B. weniger Organisation und Hektik um die Kinderbetreuung  zu organisieren (insbesondere bei Krankheit), viel mehr Stabilität für Kinder und Familie, eine fixe Bezugsperson - um nur ein paar wenige zu nennen...

 

Ich möchte hier weder das eine noch das andere Modell speziell hervorheben. Bei uns hat sich das einfach so ergeben. Jede Familie muss für sich den richtigen Weg finden und dies kann sich im Laufe der Jahre auch ändern. Ich kann jede Frau verstehen, der zu Hause die Decke auf den Kopf fällt und die sich wieder nach einer Arbeit sehnt.

Manchmal habe ich das Gefühl gewisse Männer wünschten sich insgeheim, ihre Frauen wären Vollzeit Mami, weil das ewige Organisieren von Betreuung etc. zu Stress führen kann. Mir persönlich gefällt die Rolle als Mutter und Hausfrau grösstenteils sehr. Natürlich gibt es auch da Dinge, die weniger Spass machen - so wie bei jedem anderen Job auch.

 

Jetzt ist mein Sohn schon älter und dies würde mir die Möglichkeit erschliessen, wieder in die Arbeitswelt zurück zu kehren. THEORETISCH. Praktisch sieht dies ganz anders aus. Und da wären wir wieder beim Thema.

 

So abonniere ich also auf mehreren Webseiten Job-Alarme und surfe regelmässig auf dem online Arbeitsmarkt. Schnell bin ich ernüchtert. Teilzeit - Jobs in der Schweiz und dann noch für Mütter, die nach mehreren Jahren Pause wieder einsteigen möchten und vorher eine höhere Ausbildung abgeschlossen haben - eine Seltenheit, wenn nicht sogar ein Ding der Unmöglichkeit!

 

Die erste "Tolgge  im Reinheft" meines Lebenslaufes ist die Mutterschaftspause. Mit diesem Punkt an erster Stelle, wird meine Bewerbung gar nicht weiter gelesen, sondern sofort aussortiert. Diejenigen die weiterlesen....

 

Da gibt es die 0815 Bürojobs, Rechnungswesen, Sekretärinnen, Empfangsdamen und ähnliches. Diese Bewerbungen werden direkt wieder abgeschmettert (mit einer 0815 Absage, schliesslich handelt es sich ja um einen 0815 Job) - da die HR-Person wahrscheinlich einen Berg von Bewerbungen vor der Nase hat, die besser ins Profil passen... falsche Qualifikationen

 

Im Verkauf gibt es auch ganz viele Teilzeitjobs. Aber hey - jemand der dazu ausgebildet ist einen ganzen Laden zu führen stellt man doch nicht einfach dazu an, Gestelle aufzufüllen!? Überqualifikation

 

*Da kommt mir ein kühner Gedanke - Jobsharing im Leiten eines Ladens... Aber die Schweiz funktioniert hier noch wie anno 1800 irgendwas - Jobsharing - was ist das?? und dann noch in Kaderfunktion! Geht ja gar nicht! Unmöglich!! Gedanke weggeschmettert*

 

 Weiter gehts.... Flughafen Zürich - da könnte ich wenigstens meine Sprachkenntnisse aktiv benützen. Doch da kommt schon das nächste Problem - Schichtarbeit. Ich habe leider als Mami ohne Fremdbetreuung nur gewisse Zeitfenster zur Verfügung. Da steht auch gleich dick und fett im Jobinserat "grosse Flexibilität gefordert"... Auch wieder nix. Und so geht es weiter auf der langen Liste der offenen Stellen... und ich möchte hier noch erwähnen, dass ich sehr offen bin für allerlei Jobs und mir viele Tätigkeiten vorstellen kann - vorausgesetzt ich habe geistreiche, fordernde und interessante Arbeit...

 

Schliesslich will ich mich nicht unter meinem Wert verkaufen und ich bin auch nicht mehr bereit aus Langeweile wieder in eine Depression zu schlittern. Dann bin ich zu Hause als 100% Mami viel zu glücklich und zufrieden.... DAS ist mir der Ausgleich dann doch nicht wert!

 

Ich habe seit einem Jahr schon zig Bewerbungen verschickt, noch nie wurde ich eingeladen zu einem Gespräch, einige Firmen machen sich nicht mal die Mühe abzusagen... für mich eine Kleinigkeit. Aber für jemanden, der dringend und verzweifelt einen Job sucht eine Respektlosigkeit... schliesslich sitzt man dann doch einige Zeit da um ein persönliches Motivationsschreiben aufzusetzen und seinen Lebenslauf anzupassen....

 

Bleibt also nur die Selbstständigkeit. Eigentlich wünschte ich mir einen externen Praxisraum an einem gut gelegenen Ort. Doch die Räume, die zu mieten sind, kann ich mir mit meinem möglichen Pensum gar nicht leisten... Bleibt mir also nichts anderes übrig, als von zu Hause aus zu arbeiten, was für mich nicht ideal ist und für meine Familie genau so wenig. Deshalb bin ich dann auf die Idee eines Room-Sharing gekommen. Doch alles mit dieser Endung "Sharing" scheint in der Schweiz zu modern zu klingen..

 

Jobsharing, Roomsharing,  Talentsharing (Talentbörse), Materialsharing,.... alles Konzepte, die meiner Meinung nach sehr viele Vorteile mit sich bringen. Natürlich braucht es einige Grundregeln zu beachten. So ist eine klare Aufteilung der Aufgaben, Verantwortungen und Kompetenzen unabdingbar. Und die Kommunikation zwischen den Beteiligten muss natürlich einwandfrei funktionieren, was voraussetzt, dass sich die Beteiligten gut verstehen. Mit einer offenen und respektvollen Kommunikation könnte man sowieso extrem viele Probleme bereits im Keim ersticken. Aber das scheint in unserer Kultur eine grosse Herausforderung zu sein. Direkt und doch respektvoll und höflich zu kommunizieren, auf den Punkt zu kommen ohne das Gegenüber bloss zu stellen und zu verletzten - und falls es doch passiert - sich entschuldigen... Grosse Baustelle im altertümlichen Schweiz, schliesslich will man ja das Gesicht wahren und höflich bleiben, nicht wahr?...

 

Gerade ein Jobsharing zwischen zwei Menschen, die gut harmonisieren und sich ideal ergänzen, kann für alle Beteiligten und für die Firma eine grosse Bereicherung sein. Da bin ich überzeugt! Aufteilung der Aufgaben nach Vorzügen und Talenten, Aufteilung der Verantwortungen und Kompetenzen (klar definiert natürlich), Zwei Vorgesetzte für das Team = Abwechslung, Möglichkeiten Präferenzen zu berücksichtigen, etc. und vieles mehr...

 

Aber unsere altertümliche Schweizer Wirtschaft scheint (mit ein paar Ausnahmen) noch nicht parat zu sein für solch futuristische Modelle. Also "knusten" wir weiter wie noch anno 1800 irgendwas... Dies ist natürlich historisch entstanden, wo noch der Vater seinem ersten Sohn sein Können weiter gegeben hat und alles ihm vererbt hat. Aber hey - wir leben unterdessen im 21. Jahrhundert!! Tatsache ist, dass dieses alte Modell noch zu funktionieren scheint, deshalb "muss" man nicht nach neuen Lösungswegen suchen... schade, denn ich bin überzeugt es gibt zig Frauen (und Männer) wie mich in der Schweiz, die gerne Teilzeit einer passenden Arbeit nachgehen würden. Das ist Verschwendung von Ressourcen und Talenten....

 

Nun liebe Politiker, wenn ihr euch dann mal einig geworden seit, wer jetzt die Kosten für die Fremdbetreuung tragen soll, dann könnt ihr vielleicht mal darüber diskutieren und auch gleich Lösungen ausarbeiten, wo denn die Frauen, die jetzt plötzlich mehr Möglichkeiten für die Betreuung ihrer Kinder bekommen, arbeiten sollen... Herzliche Grüsse von einer "stillgelegten Ökonomin"...

 

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